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Tage in der Ferne

Roman; herausgegeben und übersetzt von Christian Prunitsch; Reihe »Die sorbische Bibliothek«
1967 veröffentlichte Marja Młynkowa (1934–1971) den Roman »Dny w dalinje«, welcher inzwischen zu den wichtigsten Werken sorbischer Litaratur gehört. Das Buch erzählt die Geschichte eines jungen Winkelschullehrers aus der Lausitz, den es Anfang der 1930er Jahre in eine abgelegene Dorfschule im schlesischen »Nirgendwo« verschlägt.

Beschreibung

1967 veröffentlichte Marja Młynkowa (1934–1971) den Roman »Dny w dalinje«, welcher inzwischen zu den wichtigsten Werken sorbischer Litaratur gehört. Das Buch erzählt die Geschichte eines jungen Winkelschullehrers aus der Lausitz, den es Anfang der 1930er Jahre in eine abgelegene Dorfschule im schlesischen »Nirgendwo« verschlägt. In der Rolle des indifferenten Antihelden dargestellt, versucht er sich dem aufziehenden täglichen Faschismus zu entziehen und seinen ethnischen und moralischen Überzeugungen so gut wie möglich gerecht zu werden.
Ein vor allem in seiner Vielschichtigkeit und erzählerischen Qualität bestechendes Werk, das nach Übertragungen ins Tschechische und Slowakische nun auch in deutscher Übersetzung vorliegt.

Leseprobe

An einem der folgenden Tage fuhr der Lehrer in die Bezirkshauptstadt zur Regierung, um seine Versetzung zu beantragen.
Der Bezirksoberschulrat saß dem Lehrer in der Amtsstube gegenüber, ein Hitlerbild hing über ihnen.
„So, Herr Kollege, Sie wollen weg.“ Der Schulrat stellte es konstatierend fest. Er war ein distinguierter Herr in den besten Jahren, in einem guten grauen Anzug saß er hinter dem Schreibtisch, über sich das Hitlerbild.
„Nun ja, ich verstehe das … Sie brauchen endlich eine feste Anstellung. Wollen mal sehen, wo eine Stelle ausgeschrieben ist.“
Er ging zu seinem Aktenschrank, der Lehrer sah zum ersten Mal richtig den Hitler an. Genau betrachtete er ihn, sein längliches, dummes Gesicht mit dem Schnauz, seine theatralische Franse in der Stirn. Er fühlte, dass Hitlers Gesicht nicht schön war.
„Ja“, sagte der Oberschulrat, „so!“ Und er legte dem Lehrer ein Revers vor, das ihm untersagte, in den Kreisen Rothenburg, Niesky und Hoyerswerda zu unterrichten.
„Unterschreiben Sie!“
Verdattert saß der Lehrer da und blickte auf sein Papier. Er verstand nicht.
„Wie das?“
Aber der Herr Schulrat lächelte mit spitzen Lippen, das Lächeln war ohne Maß, übertrieben.
„Es gibt da diese Verordnung für Sie“, sagte er leichthin und sah den Besucher neugierig an.
„Bitte, wie darf ich das verstehen?“
Da wurden die Augen streng.
„Sie wollen doch eine Anstellung, nicht?“
Der Lehrer sah von neuem auf sein Papier, unterwürfig, seiner Unterwürfigkeit nicht bewusst. Er sah, wunderte sich, hörte auf sich zu wundern, und langsam kroch ein Glühen in ihn, eine Glut wie unter Asche, alles um ihn begann sich zu drehen, er beobachtete sich selbst, wie er dasaß und wie sie ihn erpressten: der Schulrat mit dem maliziösen Blick und das Bild über ihm.
„Sagen Sie, fällt Ihnen das so schwer?“
„Ja doch.“ Der Lehrer kletterte aus dem Abgrund, in den er gestürzt war, stotterte etwas von Heimat und dem Recht eines jeden Menschen auf Heimat, plapperte, was man in einer solchen Situation sagen kann, wenn man sich nicht ganz unter Kontrolle hat. Das sind solche Aufwallungen, die für nichts und wieder nichts gut sind, weil sie nicht überzeugen, ihnen fehlt eine Kraft, die hinter ihnen stünde, sie sind fast wie eine Sünde, schon gar in einem solchen Moment.
„Sie sind doch Deutscher, mein Lieber, nicht wahr?“
„Ja … ja … das heißt …“
Aber der Rat ließ ihn nicht zu Ende sprechen. Er wurde plötzlich böse dort unter dem Bild, erhob sich aus seinem Stuhl hinter dem Schreibtisch und begann eine pathetische Rede über die hehre Aufgabe des Lehrers im deutschen Osten, über Geschichte und Politik, dabei schritt er durch sein vornehmes Zimmer, drei Schritte zum Fenster, zehn zurück und so weiter, immer auf dem Teppich.
„Haben Sie doch ein Einsehen“, sagte er auf und ab gehend, „Sie haben doch Familie, sehen Sie, Sie sind kein kleines Kind und können über alles nachdenken“, er blieb vor ihm stehen, wippte elastisch auf den Fersen und setzte wieder seinen maliziösen Blick auf, ja, fast grinste er, und fuhr fort: „Aber solche Zauderer schätzt der Führer nicht.“
„Ja, gewiss“, stammelte der Lehrer beschämt, nahm seinen Füllhalter aus dem Jackett und wusste noch immer nicht, ob er unterschreiben sollte, dann unterschrieb er, mit hastigen, verrutschten Buchstaben, er blieb auf dem Stuhl sitzen wie angeklebt, niedergedrückt und zertreten, auf ihm ruhte die ganze Last, Bedrückung und Erniedrigung eines erpressten Mannes.
„Alles in Ordnung“, tröstete ihn der Schulrat, „Sie bekommen noch Nachricht.“
„Heil Hitler!“, sagte er und verabschiedete den Lehrer. Sie bekommen noch Nachricht. Alles in Ordnung.
Er lächelte jovial, ein wenig war er Hitler dort oben ähnlich. Ach richtig, auch er trug einen schwarzen Schnurrbart. Vielleicht hatte der Lehrer den Traum ausgeträumt. Vielleicht hatte er geträumt, er würde irgendwo zu Hause mit den Kindern in der Schule sorbisch reden, sie lehren, wie man sorbisch schrieb, las und sang, vielleicht würde er auch Zejler unterrichten und Ćišinski, wie andere Goethe und Schiller unterrichten, Shakespeare und Dante, und vielleicht würde er seine innere Harmonie finden. Aber das war nun vorbei.

Zusatzinformation

ISBN 978-3-7420-1945-5
Sprache des Artikels Deutsch
Bibliografische Angaben 2003
320 S., Hardcover mit Schutzumschlag
Thema Die sorbische Bibliothek

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Beschreibung

1967 veröffentlichte Marja Młynkowa (1934–1971) den Roman »Dny w dalinje«, welcher inzwischen zu den wichtigsten Werken sorbischer Litaratur gehört. Das Buch erzählt die Geschichte eines jungen Winkelschullehrers aus der Lausitz, den es Anfang der 1930er Jahre in eine abgelegene Dorfschule im schlesischen »Nirgendwo« verschlägt. In der Rolle des indifferenten Antihelden dargestellt, versucht er sich dem aufziehenden täglichen Faschismus zu entziehen und seinen ethnischen und moralischen Überzeugungen so gut wie möglich gerecht zu werden.
Ein vor allem in seiner Vielschichtigkeit und erzählerischen Qualität bestechendes Werk, das nach Übertragungen ins Tschechische und Slowakische nun auch in deutscher Übersetzung vorliegt.

Leseprobe

An einem der folgenden Tage fuhr der Lehrer in die Bezirkshauptstadt zur Regierung, um seine Versetzung zu beantragen.
Der Bezirksoberschulrat saß dem Lehrer in der Amtsstube gegenüber, ein Hitlerbild hing über ihnen.
„So, Herr Kollege, Sie wollen weg.“ Der Schulrat stellte es konstatierend fest. Er war ein distinguierter Herr in den besten Jahren, in einem guten grauen Anzug saß er hinter dem Schreibtisch, über sich das Hitlerbild.
„Nun ja, ich verstehe das … Sie brauchen endlich eine feste Anstellung. Wollen mal sehen, wo eine Stelle ausgeschrieben ist.“
Er ging zu seinem Aktenschrank, der Lehrer sah zum ersten Mal richtig den Hitler an. Genau betrachtete er ihn, sein längliches, dummes Gesicht mit dem Schnauz, seine theatralische Franse in der Stirn. Er fühlte, dass Hitlers Gesicht nicht schön war.
„Ja“, sagte der Oberschulrat, „so!“ Und er legte dem Lehrer ein Revers vor, das ihm untersagte, in den Kreisen Rothenburg, Niesky und Hoyerswerda zu unterrichten.
„Unterschreiben Sie!“
Verdattert saß der Lehrer da und blickte auf sein Papier. Er verstand nicht.
„Wie das?“
Aber der Herr Schulrat lächelte mit spitzen Lippen, das Lächeln war ohne Maß, übertrieben.
„Es gibt da diese Verordnung für Sie“, sagte er leichthin und sah den Besucher neugierig an.
„Bitte, wie darf ich das verstehen?“
Da wurden die Augen streng.
„Sie wollen doch eine Anstellung, nicht?“
Der Lehrer sah von neuem auf sein Papier, unterwürfig, seiner Unterwürfigkeit nicht bewusst. Er sah, wunderte sich, hörte auf sich zu wundern, und langsam kroch ein Glühen in ihn, eine Glut wie unter Asche, alles um ihn begann sich zu drehen, er beobachtete sich selbst, wie er dasaß und wie sie ihn erpressten: der Schulrat mit dem maliziösen Blick und das Bild über ihm.
„Sagen Sie, fällt Ihnen das so schwer?“
„Ja doch.“ Der Lehrer kletterte aus dem Abgrund, in den er gestürzt war, stotterte etwas von Heimat und dem Recht eines jeden Menschen auf Heimat, plapperte, was man in einer solchen Situation sagen kann, wenn man sich nicht ganz unter Kontrolle hat. Das sind solche Aufwallungen, die für nichts und wieder nichts gut sind, weil sie nicht überzeugen, ihnen fehlt eine Kraft, die hinter ihnen stünde, sie sind fast wie eine Sünde, schon gar in einem solchen Moment.
„Sie sind doch Deutscher, mein Lieber, nicht wahr?“
„Ja … ja … das heißt …“
Aber der Rat ließ ihn nicht zu Ende sprechen. Er wurde plötzlich böse dort unter dem Bild, erhob sich aus seinem Stuhl hinter dem Schreibtisch und begann eine pathetische Rede über die hehre Aufgabe des Lehrers im deutschen Osten, über Geschichte und Politik, dabei schritt er durch sein vornehmes Zimmer, drei Schritte zum Fenster, zehn zurück und so weiter, immer auf dem Teppich.
„Haben Sie doch ein Einsehen“, sagte er auf und ab gehend, „Sie haben doch Familie, sehen Sie, Sie sind kein kleines Kind und können über alles nachdenken“, er blieb vor ihm stehen, wippte elastisch auf den Fersen und setzte wieder seinen maliziösen Blick auf, ja, fast grinste er, und fuhr fort: „Aber solche Zauderer schätzt der Führer nicht.“
„Ja, gewiss“, stammelte der Lehrer beschämt, nahm seinen Füllhalter aus dem Jackett und wusste noch immer nicht, ob er unterschreiben sollte, dann unterschrieb er, mit hastigen, verrutschten Buchstaben, er blieb auf dem Stuhl sitzen wie angeklebt, niedergedrückt und zertreten, auf ihm ruhte die ganze Last, Bedrückung und Erniedrigung eines erpressten Mannes.
„Alles in Ordnung“, tröstete ihn der Schulrat, „Sie bekommen noch Nachricht.“
„Heil Hitler!“, sagte er und verabschiedete den Lehrer. Sie bekommen noch Nachricht. Alles in Ordnung.
Er lächelte jovial, ein wenig war er Hitler dort oben ähnlich. Ach richtig, auch er trug einen schwarzen Schnurrbart. Vielleicht hatte der Lehrer den Traum ausgeträumt. Vielleicht hatte er geträumt, er würde irgendwo zu Hause mit den Kindern in der Schule sorbisch reden, sie lehren, wie man sorbisch schrieb, las und sang, vielleicht würde er auch Zejler unterrichten und Ćišinski, wie andere Goethe und Schiller unterrichten, Shakespeare und Dante, und vielleicht würde er seine innere Harmonie finden. Aber das war nun vorbei.

Zusatzinformation

ISBN 978-3-7420-1945-5
Sprache des Artikels Deutsch
Bibliografische Angaben 2003
320 S., Hardcover mit Schutzumschlag
Thema Die sorbische Bibliothek