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Der betresste Esel

Sorbische Fabeln; aus dem Obersorbischen Kito Lorenc, Jurij Brězan, Albert Wawrik; Reihe »Die sorbische Bibliothek«

Die Fabeln von Handrij Zejler (1804–1872) sind geprägt von der sorbischen Sprichwort- und Märchenüberlieferung und weisen den Dichter zugleich als originären Nachfahren der Aufklärung aus. Fabulierfreudige Unterhaltsamkeit, drastische Situationskomik sowie rustikaler Humor einerseits und moralische Lehrhaftigkeit andrerseits, die gepaart ist mit praktischer Volksweisheit, bezeugen die Lebensfähigkeit seines Fabelwerkes.

Beschreibung

Leseproben

Zu Anbeginn

Als die Wahrheit kam in unsre Welt,
über Berg und Tal und Wald und Feld
solch ein Himmelsglanz sich jäh ergoss
(ach, die Sterne leuchten heller nicht),
dass der Erdenmensch die Augen schloss,
ganz geblendet von dem grellen Licht.

Deshalb litt die Wahrheit tiefen Gram.
Einem Greise, der des Weges kam,
tat sie endlich ihren Kummer kund.
Jener aber sprach aus weisem Mund:

„O, du hehre Himmelskönigin,
wem hienieden liegst du nicht im Sinn!
Doch hält niemand deinem Leuchten stand,
wähle dir ein anderes Gewand!“

„Wie erlang ich’s?“, fragt’ die Wahrheit nun,
ließ ihr Auge auf der Schöpfung ruhn.
„Wir sind gern zu Diensten!“, riefen da
Bäume, Blumen, Gräser fern und nah,
und der Tiere jedes kam geschwind,
gab der Wahrheit so sein Angebind.

Die Stubenfliege und der Kachelofen

Eine Fliege, die in der Stube den Winter abgewartet hatte, setzte sich kältestarr auf den Kachelofen und brummte: „Nun, so wärme mich, wärme mich, Geselle! Siehst du nicht, wie die Fenster Zweige treiben?“ – „Flieg nur“, sprach der Ofen, „und leg eine Handvoll Holzscheite zu, an mir soll es nicht liegen.“ Die Fliege erkannte ihr Unvermögen und jammerte traurig hu-hu, der Ofen aber meinte nur: „Jammern und murren ist leichter, als eine Sache wirklich zu vollbringen.“

Der Storch und der Sperling

Der Bauern altes Wagenrad
die Linde krönt vorm Haus.
Freund Adebar sein Bestes tat,
baut´ sich ein Nest dort aus.
Er klapperte und trug heran –
bei solcher Müh der Tag verrann.

Dies sah der Dorfspatz aus der Näh´,
der flink herbei sich schwang
und, zudringlich wie eh und je
und voller Geltungsdrang,
den Strohhalm, den er knapp noch hob,
dem Storche auf den Nestrand schob.

Und als der Bau errichtet war
– ein Burgwall, stürmefest –,
der Sperling tschilpt zur Nachbarnschar:
„Da, seht euch an das Nest,
das ich heut mit dem Storch erbaut –
wer hätte uns das zugetraut!“

„O armer, kleiner, dummer Spatz
– schaut, wie er plustert sich! –,
im Sperlingsnestlein ist dein Platz,
mein Bau stünd´ ohne dich!“
So klappert´ Meister Adebar
und bot den Spatz dem Spotte dar.

Spielt sich der Stift als Meister auf,
dann nehm´ er auch den Spott in Kauf.

Zusatzinformation

ISBN 978-3-7420-1964-6
Sprache des Artikels Deutsch
Bibliografische Angaben 2004
200 S., Hardcover mit Schutzumschlag
Thema Die sorbische Bibliothek

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Beschreibung

Leseproben

Zu Anbeginn

Als die Wahrheit kam in unsre Welt,
über Berg und Tal und Wald und Feld
solch ein Himmelsglanz sich jäh ergoss
(ach, die Sterne leuchten heller nicht),
dass der Erdenmensch die Augen schloss,
ganz geblendet von dem grellen Licht.

Deshalb litt die Wahrheit tiefen Gram.
Einem Greise, der des Weges kam,
tat sie endlich ihren Kummer kund.
Jener aber sprach aus weisem Mund:

„O, du hehre Himmelskönigin,
wem hienieden liegst du nicht im Sinn!
Doch hält niemand deinem Leuchten stand,
wähle dir ein anderes Gewand!“

„Wie erlang ich’s?“, fragt’ die Wahrheit nun,
ließ ihr Auge auf der Schöpfung ruhn.
„Wir sind gern zu Diensten!“, riefen da
Bäume, Blumen, Gräser fern und nah,
und der Tiere jedes kam geschwind,
gab der Wahrheit so sein Angebind.

Die Stubenfliege und der Kachelofen

Eine Fliege, die in der Stube den Winter abgewartet hatte, setzte sich kältestarr auf den Kachelofen und brummte: „Nun, so wärme mich, wärme mich, Geselle! Siehst du nicht, wie die Fenster Zweige treiben?“ – „Flieg nur“, sprach der Ofen, „und leg eine Handvoll Holzscheite zu, an mir soll es nicht liegen.“ Die Fliege erkannte ihr Unvermögen und jammerte traurig hu-hu, der Ofen aber meinte nur: „Jammern und murren ist leichter, als eine Sache wirklich zu vollbringen.“

Der Storch und der Sperling

Der Bauern altes Wagenrad
die Linde krönt vorm Haus.
Freund Adebar sein Bestes tat,
baut´ sich ein Nest dort aus.
Er klapperte und trug heran –
bei solcher Müh der Tag verrann.

Dies sah der Dorfspatz aus der Näh´,
der flink herbei sich schwang
und, zudringlich wie eh und je
und voller Geltungsdrang,
den Strohhalm, den er knapp noch hob,
dem Storche auf den Nestrand schob.

Und als der Bau errichtet war
– ein Burgwall, stürmefest –,
der Sperling tschilpt zur Nachbarnschar:
„Da, seht euch an das Nest,
das ich heut mit dem Storch erbaut –
wer hätte uns das zugetraut!“

„O armer, kleiner, dummer Spatz
– schaut, wie er plustert sich! –,
im Sperlingsnestlein ist dein Platz,
mein Bau stünd´ ohne dich!“
So klappert´ Meister Adebar
und bot den Spatz dem Spotte dar.

Spielt sich der Stift als Meister auf,
dann nehm´ er auch den Spott in Kauf.

Zusatzinformation

ISBN 978-3-7420-1964-6
Sprache des Artikels Deutsch
Bibliografische Angaben 2004
200 S., Hardcover mit Schutzumschlag
Thema Die sorbische Bibliothek